Der wissenschaftliche Leiter von „Im Namen der Freiheit“, Prof. Dr. Thorsten Logge, spricht mit uns über Hintergründe und Ziele des Projekts.
In Ihren eigenen Worten, wie würden Sie das Projekt „Im Namen der Freiheit“ erklären?
Das Projekt fragt, wie es um „Freiheit“ in Deutschland steht – und lädt alle Bürgerinnen und Bürger ein, sich dazu zu äußern. Wir wollen wissen: Was bedeutet „Freiheit“ heute? Wo sehen wir unsere Freiheiten eingeschränkt? Wie bewahren wir sie in Zeiten des Umbruchs und der Unsicherheit?
Das Projekt zielt darauf, möglichst viele unterschiedliche Wege zu öffnen, um sich über Freiheit auszutauschen: Wir veranstalten Theater-Versammlungen, laden zu Freiheitswerkstätten ein und bauen ein digitales Freiheitsarchiv.
In den Theater-Versammlungen machen wir große Theater und Opernhäuser zu Orten des Austauschs über Freiheit. Das Theater wird zu einem Plenum für alle, in dem Freiheitsthemen offen verhandelt werden.
Die Freiheitswerkstätten laden Projekte, Initiativen und kleinere regionale Institutionen dazu ein, sich intensiv damit zu beschäftigen, was Freiheit konkret bedeutet – dort, wo Menschen leben und sich im Alltag begegnen. Hier können sich Aktive noch bis Mai 2024 bewerben.
Das Freiheitsarchiv ist ein digitaler Speicherort für Freiheitsbegriffe und -diskurse im Wissenschaftsjahr 2024 – und soll am Ende des Jahres eine Art Querschnitt zeigen, was Freiheit in diesem Jahr in Deutschland bedeutet. Damit wird es auch für Wissenschaft und Kunst interessant – je mehr Beiträge wir von Bürgerinnen und Bürgern bekommen, desto mehr lernen wir auch darüber, was in Deutschland über Freiheit gedacht wird.
Mit welcher Absicht haben Sie das Projekt „Im Namen der Freiheit“ ins Leben gerufen und was erhoffen Sie sich davon?
Das war ich nicht allein – das Projekt geht zurück auf eine Initiative von Theaterregisseur Thorleifur Örn Arnarsson und wurde von ihm, Theatermacher Uwe Gössel und mir im Herbst 2023 entwickelt. Freiheit ist ein wichtiges und zugleich umstrittenes Thema: politisch, gesellschaftlich, kulturell – und privat. Wir wollen in diesem Jahr miteinander über viele wichtige Fragen diskutieren: Was heißt es eigentlich, Freiheiten zu haben? Wo kommen die her? An welcher Stelle schränken meine Freiheiten die anderer ein? Was bedeutet zum Beispiel soziale Ungleichheit für die tatsächlich gelebten Freiheiten im Alltag? Wie frei sind wir, wenn so viele Menschen weltweit in Unfreiheit leben müssen? Welche Freiheiten dürfen wir uns heute nehmen, um nicht die Freiheiten unserer Nachfahren zu beschränken?
Es braucht mehr konstruktive Debatten, schließlich ist Freiheit immer auch zentral für Demokratie – aber es gibt sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, was unter Freiheit zu verstehen ist. In unserem Projekt gehen Kunst und Wissenschaft Hand in Hand, um das zu erforschen. Beide Bereiche sind in ihren Freiheiten im Grundgesetz geschützt – und beide haben ganz unterschiedliche Methoden, gesellschaftliche Diskurse zu motivieren, zu informieren und zu gestalten.
Welchen Bezug hat das Projekt zu Ihrem Forschungsfeld „Public History“?
Public History beschäftigt sich mit Geschichte im öffentlichen Raum. Freiheit ist immer auch ein historisch relevantes Thema: Um Freiheit wird immer wieder, zu unterschiedlichen Zeiten und gesellschaftlichen Situationen, verhandelt und gestritten, zuweilen auch gekämpft. Unfreiheit ist ein starker Motivator für Flucht, Migration und politischen Aktivismus. Insofern geht es hier um ein Thema der öffentlichen Geschichte. Wir reden von Freiheiten hier und jetzt – und diese lassen sich nur im Vergleich zu Freiheit zu anderen Zeiten und an anderen Orten verstehen.
Mit dem Freiheitsarchiv schaffen wir eine Sammlung von Freiheitsbegriffen und -diskursen im Jahr 2024 – und damit eine Materialbasis für die zukünftige Geschichtswissenschaft. Dafür sammeln wir und hinterlassen Spuren, die zukünftig Quellen für Historikerinnen und Historiker werden können.
Vor dem „Freiheitsarchiv“ hatten Sie ein ähnliches Projekt ins Leben gerufen, das „coronarchiv“. Welche Unterschiede gab es bei der Konzeption der Projekte?
Das coronarchiv entstand als direkte Reaktion auf ein Ereignis, das uns allen fremd und unwirklich vorkam: die Pandemie. Sie wurde als äußerlich wahrgenommen, als etwas, das uns ereilt und unser Leben umkrempelt.
„Freiheit“ ist ein abstraktes Thema, das uns im Alltag und in der Demokratie oft gar nicht so bewusst ist, obwohl unser Leben in vielen Bereichen von Freiheitsthemen durchdrungen ist. Wir erleben gerade in der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Debatte viel Streit, Spaltung und Unsicherheit. Dabei ist es ein Merkmal von Freiheit, dass wir diese Debatte führen können.
Wir hoffen, dass unser Projekt dazu beitragen kann, sich über den abstrakten, oft nicht wirklich bewusst gedachten Freiheitsbegriff bewusster zu werden. Wir wollen den Austausch darüber anregen, was die eigenen Freiheiten mit den Freiheiten anderer zu tun haben – und wie wir gemeinsam möglichst viele Freiheiten für möglichst viele Menschen ermöglichen können. Da gibt es durchaus Ungleichgewichte auf verschiedenen Ebenen.
Was passiert mit den gesammelten Daten am Ende des Jahres?
Wir sammeln während des Wissenschaftsjahres 2024 und bereiten Anfang 2025 die Daten auf. Anschließend steht die Sammlung für Forschung und Kunst zur Verfügung. Wer möchte, kann mit dem Material arbeiten und forschen. Auch wir werden Anfang 2025 eine Auswertung wagen, was Freiheit im Jahr 2024 in Deutschland bedeutet.
Prof. Dr. Thorsten Logge ist wissenschaftlicher Leiter des Projekts „Im Namen der Freiheit“. Er ist Professor für Public History an der Universität Hamburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Methoden und Theorien der Public History, Geschichtssorten, die Performativität und Medialität von Geschichte im öffentlichen Raum und Panoramen.
Foto: Nils Steffen