Freiheit als Lebensprojekt.
Die fünfte Theaterversammlung des Projekts „Im Namen der Freiheit“ fand am 6. November auf der großen Bühne des Volkstheaters Rostock mit dem Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk und über 50 weiteren Beteiligten statt.
Zwei Generationen nach dem Mauerfall ist eine Zuspitzung der gesellschaftlichen Konflikte rund um den Freiheitsbegriff in Ost und West zu erleben. Wie auch in vielen europäischen Ländern stehen demokratische Strukturen für eine offene Gesellschaft unter Druck. Welche Kräfte wirken 35 Jahre nach der friedlichen Revolution, die 16 Millionen Menschen Freiheit und dem Land die Einheit bescherte?
„Freiheit als Lebensprojekt“ war der Titel des Historikers und Publizist Ilko-Sascha Kowalczuk für seinen Impuls zur Geschichte Ostdeutschlands nach 1989.
Als einer der renommiertesten deutschen Experten für die Geschichte der DDR und des Kommunismus sowie als gefragte Stimme in den Debatten über die gesellschaftlichen Veränderungen in Ostdeutschland analysiert er in seinem Bestseller „Freiheitsschock“, warum der Freiheitsgewinn ausgerechnet dort vermehrt in Frage gestellt wird, wo 1989 die friedliche Revolution gelang. Neben den Härten der gesellschaftlichen und ökonomischen Transformation, mit denen die Menschen hier konfrontiert werden, geht es ihm vor allem darum, dass „man sich zunächst selbst befreien muss“ und, dass Freiheit stets neu erarbeitet werden müsse. Zudem betont er: „Wir brauchen eine Kompromissgesellschaft – keine Konsensgesellschaft – das ist das Wesen von Demokratie und Freiheit.“ In seiner Rede knüpfte er an konkrete, mit der Stadt Rostock verbundene Ereignisse seines eigenen Lebens an und zeigte auf, warum seine wissenschaftliche Arbeit auch als ein Kampf um die Freiheit zu begreifen ist: „Frieden ohne Freiheit ist kein Frieden – nur wer Freiheit garantiert, kann auch Frieden gewährleisten. Umgekehrt funktioniere es nicht.“
Texte von Uwe Johnson zur Freiheit wurden szenisch gelesen von der Schauspielerin Klara Eham vom Ensemble des Rostocker Volkstheaters. Kowalczuk verlängert die Betrachtungen von Johnson in die Gegenwart, indem er zeigt, wie die von Uwe Johnson in den 1970er Jahren in der Bundesrepublik geschrieben Gedanken, die Verhältnisse ab 1990 in Ostdeutschland reflektierten.
Musikalisch gerahmt wurde Ilko-Sascha Kowalczuks Vortrag von zwei der berühmtesten Chorstücken zur Freiheit. Csaba Grünfelder hatte diese für den Abend mit zwei musikalischen Ensembles einstudiert. Die Chöre wurden von Danyil Ilkiv sowie von Ralph Zedler musikalisch begleitet. Zu Beginn sang der Opernchor des Volkstheaters zusammen mit der Singakademie Rostock aus der Oper „Fidelio“ von Ludwig van Beethoven (1805 / 1814) „O welche Lust, in freier Luft: Den Atem leicht zu heben!“. Im Anschluss an die sehr bewegende politisch wie persönliche Rede Kowalczuks über die Freiheit als Lebensprojekt erklang der Gefangenenchor „Va Pensiero – Flieg, Gedanke“ aus der Oper „Nabucco“ von Giuseppe Verdi (1842).
Nach der Pause moderierte der Dramaturg und Autor Thomas Irmer das Gespräch zwischen dem Publikum und Ilko-Sascha Kowalczuk. In den sich daran anschließenden Tischgesprächen in den Foyers fand die weite Spanne an den Themen, die mit dem Motiv der Freiheit verbunden wurde, seinen Ausdruck. Es ging nicht nur um die Zeit seit der Wende in Ostdeutlichland, sondern auch um die Perspektiven zum Krieg Russlands gegen die Ukraine oder auch um die Verlusterfahrung von Freiheitsrechten während der Corona-Pandemie.
Fotos: Thomas Mandt